Erbrecht in Russland

 I. Gilt deutsches oder russisches Erbrecht?

Die Bestimmung des auf deutsch-russische Erbfälle anzuwendenden Erbrechts richtet sich mangels eines „echten“ internationalen Rechts nach den jeweiligen Bestimmungen des deutschen und des russischen internationalen Erbrechts (международное наследственное право).

Diese Bestimmungen werden durch den zwischen den Staaten weiterhin geltenden deutsch-sowjetischen Konsularvertrag vom 25. April 1958 erheblich modifiziert.

Der Vertragstext, der auch nach Anwendung der EU-Erbrechtsverordnung für Erbfälle nach dem 16. August 2015 seine Gültigkeit behält, ist hier abrufbar.

Die Bestimmungen des Konsularvertrages und der nationalen Erbrechte Russlands und Deutschlands können zur Folge haben, dass deutsche Gerichte russisches Recht anwenden müssen und russische Gerichte deutsches Recht.

Dies hat unter anderem mit der unterschiedlichen Behandlung von Immobilienvermögen und beweglichem Vermögen zu tun.

Dazu im Einzelnen:

 1. Unbewegliches Vermögen

Befindet sich eine Wohnung im Nachlass, kommt es für die Rechtsnachfolge in Bezug auf diese Wohnung nach Art. 28 Abs. 3 des deutsch-Sowjetischen Konsularvertrages einzig darauf an, wo sich die Immobilie befindet.

Bezüglich einer Wohnung in Moskau wird russisches Erbrecht also auch dann angewendet, wenn der verstorbene Eigentümer deutscher Staatsangehöriger war.

Bei einer in Berlin oder Wiesbaden gelegenen Immobilie kommt umgekehrt stets deutsches Erbrecht zur Anwendung, und zwar auch bei russischer Staatsangehörigkeit des Erblassers.

Fall 1: Ein Deutscher ist Eigentümer einer Wohnung in Moskau. Er verstirbt in Berlin. Da sich die Wohnung in Russland befindet, kommt in Bezug auf die Wohnung ausschließlich russisches Erbrecht zur Anwendung.

Fall 2: Ein russischer Staatsbürger vererbt eine Wohnung in Berlin. Für diese Fallgestaltung gilt – in Bezug auf die Wohnung – deutsches Erbrecht.

2. Bewegliches Vermögen

Bei beweglichem Vermögen wendet ein russisches Gerichts nach Art. 1224 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 des Zivilgesetzbuchs der Russischen Föderation das Erbrecht des Landes an, in dem der Erblasser seinen letzten dauerhaften Aufenthaltsort (место жительства) hatte.

Fall 3: Ein russischer Staatsbürger hatte seinen letzten dauerhaften Wohnort in Berlin. Er verstirbt und hinterlässt ein Bankguthaben in Moskau.

Hier gibt es einen Gleichlauf zwischen russischem und deutschem Recht:

Das russische Recht, Art. 1224 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 ZGB, und das deutsche Recht, Art. 21 Abs. 1 EU-Erbrechtsverordnung, wenden jeweils deutsches Erbrecht an.

Mit Anwendung der EU-Erbrechtsverordnung für Erbfälle nach dem 16. August 2015 knüpft also auch das deutsche Recht bei deutsch-russischen Erbfällen an den letzten gewöhnlichen Wohnsitz bzw. Aufenthalt an, sofern es um bewegliches Vermögen geht.

Für Immobilienvermögen bleibt es beim deutsch-sowjetischen Konsularvertrag vom 25. April 1958.

 II. Einfluss des ehelichen Güterrechts auf das Erbrecht

Das eheliche Güterrecht in Russland hat zwar keinen Einfluss auf die Erbquote des Ehegatten, es hat aber erheblichen Einfluss auf das wirtschaftliche Ergebnis der Erbauseinandersetzung.

Der Ehegatte kann Russland von den Bestimmungen des Familienrechts (семейное право) profitieren. Wenn die Ehegatten nichts anderes bestimmt haben, gilt gem. Art. 256 ZGB und Art. 33, 34 Familiengesetzbuch der gesetzliche Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft.

Im Rahmen dieser Errungenschaftsgemeinschaft wird jegliches Vermögen, das während der Zeit der Ehe entstanden ist, gemeinschaftliches Eigentum (общая собственность). Dieses wird nach dem Tod eines Ehegatten durch einen Notar in zwei gleiche Teile getrennt. Zum Nachlass gehört dann ausschließlich die Vermögenshälfte des verstorbenen Ehegatten.

Der Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft kann durch Ehevertrag modifiziert werden.

Er kann sich auch  von einem russischen Güterstand in einen deutschen Güterstand „wandeln“ (siehe etwa OLG Hamm, Beschluss vom 8. Oktober 2009 = Az. I-15 Wx 292/08, unter Verweis auf Art. 161 FGB Russland).

 III. Materielles Erbrecht in Russland

 1. Gesetzliche Erbfolge (наследование по закону)

 Die gesetzliche Erbfolge wird – wie im deutschen Erbrecht – von der Erbfolge nach Ordnungen bestimmt. Zu den Einzelheiten berate ich Sie gerne.

 Unterschieden wird zwischen acht Kategorien, wobei die wichtigsten die ersten drei sind:

  1. Kinder, Adoptivkinder, Ehegatten, Eltern (Art. 1142 ZGB)
  2. Brüder, Schwestern, Halbgeschwister, Großeltern (Art. 1143 ZGB)
  3. Brüder, Schwestern und Halbgeschwister der Eltern des Erblassers (Art. 1144 ZGB)

Sind in einer höheren Kategorie Erben vorhanden, sind die Erben der niedrigeren Kategorie von der Erbfolge ausgeschlossen. Eine Ausnahme gilt für mit dem Erblasser verwandte oder diesem sonst nahestehende Personen, die bedürftig sind und als Erben der achten Ordnung auch in den Kreis der Erben erster Ordnung aufgenommen werden können (Art. 1148 ZGB).

Die Erben einer jeweiligen Kategorie erben (ggf.  zusammen mit Erben der achten Ordnung) zu gleichen Teilen. Sind in der ersten Kategorie also ein Ehemann, eine Tochter und die Mutter des Erblassers vorhanden, erben sie jeweils nur dann zu 1/3, wenn kein Erbe der achten Ordnung vorhanden ist.

2. Testament (завещание)

Das russische Erbrecht ist vom Grundsatz der Testierfreiheit bestimmt, Art. 1119 ZGB: Der Erblasser ist „berechtigt, nach seinem Ermessen Vermögen beliebigen Personen zu vererben, frei die Erbteile zu bestimmen, einen, mehrere oder alle gesetzlichen Erben zu enterben, ohne Gründe für die Enterbung anzugeben.“

Möchte der Erblasser also nicht die gesetzliche Erbfolge gelten lassen, kann er die Erbfolge in seinem Testament regeln. Eine Grenze bildet der bestimmten Personen unter Einschränkungen zustehende Pflichtteil (siehe unten II.3).

Das russische Recht erkennt Testamente an, die nach dem Recht des Staates wirksam verfasst wurden, in dem der Erblasser zuletzt seinen Wohnsitz hatte (Art. 1224 ZGB), z.B. in Deutschland. Gleichwohl kann es in der Praxis Probleme bei der Anerkennung der in Deutschland verfassten Testamante geben. Testamente, die z.B. wegen dort vorhandenem Immobilienvermögen in Russland eröffnet werden müssen, sollten deshalb auch nach russischen Formerfordernissen errichtet werden. Dazu gehört anders – als in Deutschland – auch, dass ein schriftlich und persönlich vom Erblasser verfasste Testament – von Notsituationen z.B. auf hoher See abgesehen – von einem Notar beglaubigt oder besonders verschlossen  wurde (Art. 1126 ZGB).

Gemeinschaftliche Testamente von Ehegatten und Erbverträge können mit Inkraftreten der jüngsten Gesetzgebungsreform zum Erbrecht zum 1. Juni 2019 zulässig sein (Art. 1118 Abs. 4 ZGB). Allerdings ist die Bindung des Erblassers an einen Vertrag im Erbrecht deutlich schwächer ausgeprügt als in Deutschland; insbesondere können die in einem Erbvertrag Testierenden freier über ihr Vermögen verfügen (siehe Art. 1140.1 Punk 12 ZGB).

Die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers (Art. 1134 ZGB) ist in vielen Fällen sinnvoll.

 3. Pflichtteil (право на обязательную долю в наследстве)

Nach russischem Recht erhalten nur diejenigen Personen einen Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, die vom Erblasser tatsächlich Unterhaltsleistungen bezogen haben oder ihm gegenüber unterhaltsberechtigt waren (Art. 1148 ZGB i.V. m. Art. 1149 ZGB). Dies sind regelmäßig die minderjährigen Kinder und Ehegatten des Erblassers, die aus Krankheitsgründen nicht arbeiten können.

 Gleichwohl können Personen der achten Ordnung, die nicht mit dem Erblasser verwandt waren, einen Pflichtteilsanspruch haben (z.B. eine Nachbarin, die der Erblasser bei sich gepflegt hat). Dies setzt voraus, dass sie mindestens ein Jahr vor dem Tod des Erblassers Unterhalt bezogen haben.

 4. Erbfolge im Unternehmen (наследование предприятия)

Gehören Anteile an einer Общество с ограниченной ответственностью (OOO, vergleichbar der deutschen GmbH) zum Nachlass, so hängt es von der Satzung der OOO ab, ob der Erbe Gesellschafter wird oder in Höhe des Buchwertes zum Zeitpunkt des Erbfalls abzufinden ist.

Dem gegenüber werden – wie im deutschen Recht – bei einer Открытое oder Закрытое акционерное общество (OAO bzw. ЗАО, offene bzw. geschlossene Aktiengesellschaft) die Erben kraft Gesetzes Aktionäre (Art. 1176 Abs. 3 ZGB).

IV. Nachlassabwicklung

Im Gegensatz zu den deutschen Bestimmungen sind in Russland die Notare (нотариус) für den ersten Schritt in der Nachlassabwicklung zuständig. Bei Immobilien ist dies immer der Notar, an dessen Amtssitz sich die Immobilie befindet.

Besonders zu  beachten ist, dass nach russischem Recht Vorrechte bestehen können.

Dies gilt beispielsweise für Ehepartner bezüglich der Haushaltsgegenstände, und für erbende Hausmitbewohner hinsichtlich des Hauses.

Zudem haben Erben, die zum Zeitpunkt des Erbfalls als Unternehmer registriert waren ein Vorrecht, ein in den Nachlass fallendes Unternehmen gegen Ausgleichszahlung zu übernehmen (Art. 1178 ZGB).

V. Nachlassfonds

Hinweis:

Zum 1. September 2018 sind in Russland Regelungen zur Errichtung eines Nachlassfonds (von Todes wegen) in Kraft getreten. Der Fonds ähnelt funktional dem angloamerikanischen Trust sowie der deutschen Stiftung von Todes wegen.

 VI. Erbschaftssteuer

Nach einer Reform im Jahr 2006 erhebt die russische Föderation keine Erbschaftssteuer.

Hierfür wäre das deutsche Erbschaftsteuerrecht allerdings „blind“:

Hatte der Erblasser oder der Erbe zum Zeitpunkt des Erbfalls seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, gilt aus deutscher Sicht eine unbeschränkte persönliche Steuerpflicht für das weltweite Nachlassvermögen (§ 2 ErbStG).

Dies bedeutet, dass z.B. der Erwerb einer Immobilie in St. Petersburg in Deutschland bei der Erbschaftsteuer angegeben und versteuert werden muss, auch wenn in Russland keine Erbschaftsteuer anfällt.

Zudem müssen auch in Russland lebenden Erben in Deutschland Erbschaftsteuern bezahlen, wenn Sie von in Russland verstorbenen Verwandten bestimmte Gegenstände erben, die sich in Deutschland befinden (sogenannte beschränkte Steuerpflicht – gilt z.B. für Immobilien, aber auch für Unternehmensbeteiligungen).

 Gesetzestexte zum russischen Erb- und Familienrecht finden Sie hier.

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