Der notarielle Erb- und Pflichtteilsverzicht ist ein wichtiges und zulässiges Instrument der Unternehmensnachfolge. Nicht selten werden Kinder und Ehegatten dabei aber „übers Ohr gehauen“ – oder schlicht und einfach überrumpelt.
Wenn Unerfahrenheit und (emotionale, finanzielle) Abhängigkeit gezielt ausgenutzt werden, kann ein solcher Verzicht gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb unwirksam sein, § 138 BGB.
So auch in einem vom OLG Hamm mit Urteil vom 8. November 2016 (Az. 10 U 36/15) entschiedenen Fall:
Hier war der beklagte Vater Zahnarzt und Gesellschafter einer GmbH, die ein Dentallabor betrieb. Sein Vermögen belief sich auf etwa ca. 2,0 Millionen €. Nachdem sein Sohn das Fachabitur nicht geschafft hatte, bot der Vater ihm an, in der GmbH eine Ausbildung zum Zahntechniker zu machen. Etwa zur gleichen Zeit erwarb der Vater für ca. 100.000,00 € einen Sportwagen (für den Nissan GTR X mit einer Höchstgeschwindigkeit von ca. 320 km/h hat sich der zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige Sohn schnell begeistert).
Schließlich, zwei Tage nach dessen 18. Geburtstag, fuhr der Vater mit seinem Sohn zum Notar und ließ ihn dort einen „Erb- und Pflichtteilssverzicht“ unterschreiben. In der vertraglichen Vereinbarung heißt es auszugsweise:
„Der X verzichtet hiermit für sich auf das ihm beim Tode des Y zustehende gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht. Dieser Verzicht betrifft insbesondere Erb-, Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche. Y nimmt diese Verzichte jeweils an.
Als Gegenleistung für die Verzichte erhält X den Nissan GTR X, jedoch unter der aufschiebenden Bedingung, dass X sein 25. Lebensjahr vollendet hat und seine Gesellenprüfung zum Zahntechniker bis zum 31.12.2017 mit der Note 1 bestanden hat und seine Meisterprüfung zum Zahntechniker bis zum 31.12.2021 mit der Note 1 bestanden hat.“
Das OLG Hamm hat diesen Verzicht für sittenwidrig und nicht wirksam erklärt. Zur Begründung führt das Gericht aus:
„Für eine Sittenwidrigkeit der getroffenen Vereinbarungen sprechen schließlich besonders deutlich die äußeren Umstände des Geschäfts. Hiernach hat der Bekl. nämlich die in erheblichem Gegensatz zu seiner eigenen Geschäftsgewandtheit stehende jugendliche Unerfahrenheit und Beeinflussbarkeit seines Sohnes zu seinem Vorteil ausgenutzt.
Dies folgt schon aus der Wahl des Gegenstands der in Aussicht gestellten Abfindung. Hier hat sich der Bekl. ersichtlich zielgerichtet die alters- und persönlichkeitsbedingte nahezu fanatische Begeisterung des Kl. für den Sportwagen zunutze gemacht. Das LG spricht insoweit zu Recht von einem Rationalitätsdefizit beim Kl., das dem Bekl. bestens bekannt war und das er durch die Anschaffung des Fahrzeugs im Vorfeld noch gefördert hat.
Weitere entscheidende Gesichtspunkte sind der Zeitpunkt des Geschäfts, zwei Tage nach dem 18. Geburtstag des Kl., sowie die näheren Umstände der Beurkundung. Der Bekl. hat für sein Vorhaben bewusst den Eintritt der Volljährigkeit des Kl. abgewartet, wohlwissend, dass er eine Zustimmung zu dem Geschäft von Seiten der Mutter nicht erlangt hätte, geschweige denn die nach § 2347 BGB erforderliche Genehmigung des Familiengerichts. Zum anderen hat er mit der Wahl des Beurkundungstermins den Eindruck erweckt, es handele sich um ein Geburtstagsgeschenk für den Kl. Diese Vorgehensweise war geeignet, dem Kl. eine Ablehnung des Angebots emotional zu erschweren.“
Fazit:
Wird ein gerade volljähriger oder nicht altersbedingt unerfahrener Mensch „zum Notar geschleift“ und mit unlauteren Mitteln zum Pflichtteilsverzicht gelockt, dann bestehen gute Chancen, dagegen vorzugehen. Rechtlich ist das bereits vor dem Erbfall möglich und kann Verhandlungsspielräume und am Ende Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaffen.
Gegenüber einem vom Gesamtwürdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck sämtlicher Umstände des Einzelfalls zur sogenannten Umstandssittenwidrigkeit führte, ist der obige Fall einfach gestrickt: am 25 Januar 2006 zum Az. 15 U 4761/04 entschiedenen Sachverhalt, bei dem eine viel ausführlichere
Das von der juristischen Fachliteratur vermutete, mit emotionaler Abhängigkeit erklärte „verzichtstypische Rationalitätsdefizit“ beim Pflichtteilsverzicht (u.a. Röthel, Neue Juristische Wochenzeitschrift 2012, 317) konnten die Richter im vorliegenden Fall nicht übersehen.