In der Bundesrepublik Deutschland leben mehr als drei Millionen Menschen türkischer Herkunft; etwas mehr als die Hälfte von ihnen hat (auch) die deutsche Staatsangehörigkeit. Das Vermögen türkischer und türkischstämmiger Erblasser verteilt sich regelmäßig auf beide Länder.
Leben alle Berteiligten in Deutschland, so stellt sich die Frage: Kann ein Erbstreit, für den ausschließlich türkisches Recht gilt, von einem deutschen Zivilgericht entschieden werden?
Der Bundesgerichtshof hat hierzu mit Urteil vom 21.10.2015 (Aktenzeichen: IV ZR 68/15) entschieden: Ein deutsches Gerichten ist nur dann nicht international zuständig, wenn es um die Erbenstellung als solche oder um Ansprüche i.S.d. § 15 des zwischen beiden Ländern im Jahr 1929 abgeschlossenen Nachlassabkommens geht. In diesem Fall seien türkische Gerichte zuständig.
§ 15 Satz 1 des Nachlassabkommens lautet:
„Klagen, welche die Feststellung des Erbrechts, Erbschaftsansprüche, Ansprüche aus Vermächtnissen sowie Pflichtteilsansprüche zum Gegenstand haben, sind, soweit es sich um beweglichen Nachlass handelt, bei den Gerichten des Staates anhängig zu machen, dem der Erblasser zurzeit seines Todes angehörte, soweit es sich um unbeweglichen Nachlass handelt, bei den Gerichten des Staates, in dessen Gebiet sich der unbewegliche Nachlass befindet.“
Mit „Erbschaftsansprüchen“ seien allerdings nicht sämtliche Ansprüche gemeint, bei denen Erbfragen eine Rolle spielten. Es müsse vielmehr das materielle Erbrecht der Parteien bzw. dessen Reichweite Gegenstand des Rechtsstreits sein, und der Rechtsstreit über diese Ansprüche müsse dazu führen, dass über eine zwischen den Parteien streitige Erbenstellung oder „erbrechtliche Berechtigung“ eine verbindliche Entscheidung getroffen werde. In allen anderen Fällen gelte deshalb § 8 des Nachlassabkommens.
Die Vorschrift lautet:
„Streitigkeiten infolge von Ansprüchen gegen den Nachlass sind bei den zuständigen Behörden des Landes, in dem dieser sich befindet, anhängig zu machen und von diesen zu entscheiden.“
Es genügt für die ausschließliche Zuständigkeit also nicht, wenn lediglich die Rechtsnachfolge von der Erbenstellung abhängt oder erbrechtliche Probleme eine Vorfrage darstellen. War z.B. ein Miterbe Bevollmächtigter des Erblassers und ist er als solcher zur Auskunft und Rechenschaft gegenüber den anderen Miterben verpflichtet, kann er von einem deutschen Gericht dazu verurteilt werden – auch wenn türkisches Erbrecht gilt.
Dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Erben, zwei in Deutschland lebende Brüder, hatten ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück in der Türkei gemeinschaftlich an einen Dritten veräußert, und einer der Brüder hatte die Restzahlung in Höhe von 10.000,00 Türkischen Lira für sich behalten. Die Frage, wie diese Summe zu verteilen sei, könne vor einem deutschen Gericht entschieden werden.