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BVerfG stärkt notarielles Nachlassverzeichnis

Den Pflichtteil geltend machen – das Bundesverfassungsgericht gibt Rückenwind

»Tagesschau«-Grafik zum Bundesverfassungsgericht. | Bildquelle: ARD-aktuell

Wenn es darum geht, den Pflichtteil geltend zu machen, stellt sich zunächst die rein praktische Frage: Wie finde ich raus, was zum Nachlass gehört, und welche Schenkungen gab es vor dem Erbfall?

Um dies zu ermitteln, kann der Pflichtteilsberechtigte entweder ein „privates“, vom Erben erstelltes Nachlassverzeichnis verlangen, oder er kann einen Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses geltend machen (§ 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Über den Umfang Ermittlungspflichten des Notars bei der Erstellung eines solchen Verzeichnisses wurde lange gestritten: Während die eine Seite dem Notar geradezu detektivische Pflichten aufbürdet, protestieren gerade Notare gegen zu weitreichende Ermittlungspflichten. Sie argumentieren, dass eine Ermittlungspflicht weder dem Berufsbild des Notars entspreche, noch gesetzlich so vorgesehen sei.

Das notarielle Nachlassverzeichnis  bekommt Zähne

Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 25. April 2016, Az. 1 BvR 2423/14) hat nun – in ungewohnt deutlicher Auslegung einfachen, unter dem Grundgesetz stehenden Rechts – erkennen lassen, dass der Notar z.B. Hinweisen auf Schenkungen, die zu einer Schmälerung des Pflichtteils führen könnten, sehr genau nachgehen und eigene Ermittlungen anstellen muss – bis zur Durchsicht von Kontoauszügen für einen Zeitraum von zehn Jahren.

In dem Beschluss heißt es:

„Hier hätte es hinsichtlich der etwaigen Schenkungen insbesondere nahe gelegen, Einsicht in die vollständigen Kontoauszüge und sonstigen Bankunterlagen für den Zehn-Jahres-Zeitraum zu nehmen oder eine Vollmacht des Auskunftsverpflichteten zur entsprechenden Anfrage bei der Bank einzuholen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18. März 2014 – 2 W 495/13 -, juris, Rn. 21-28).“

Auch die zivilgerichtliche Rechtsprechung – OLG Saarland mit Beschluss vom 26. April 2010 (Az. 5 W 81/10), OLG Schleswig mit Urteil vom 25. Januar 2011 (Az. 3 U 36/10), verschärft durch OLG Koblenz mit Beschluss vom 18. März 2014 (Az. 2 W 495/13) – hatte sich zuvor auf die Seite der Pflichtteilsberechtigten geschlagen. Jeweils gefordert sind eigene Aufklärungsbemühungen des Notars und relativ weitreichende Ermittlungen.

Die Anforderungen an ein notarielles Nachlassverzeichnis sind damit erheblich gestiegen.

Dem Notar auf die Finger schauen

Auch wenn die Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Oberlandesgerichten die Position der Pflichtteilsberechtigten stärkt, kommen viele Notare ihrer Aufklärungs- und Ermittlungspflicht noch immer nicht nach. De facto begnügen sich viele Notare  weiterhin mit der einfachen Wiedergabe der vom Erben angebotenen Informationen.

Dem kann man als Pflichtteilsberechtigter nur begegnen, indem man sich früh in den Prozess der Verzeichniserstellung  „einklinkt“.

Ein Fachanwalt für Erbrecht kann hier wertvolle Unterstützung leisten.

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BGH: Bewertung einer „halben Immobilie“ im Pflichtteilsrecht

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Der Pflichtteil sichert den nächsten Angehörigen eine Mindestbeteiligung am Nachlass. Wie viel aber war der Nachlass zur Zeit des Erbfalls wert? Dies zu bestimmen ist besonders schwierig, wenn der Erblasser nur Miteigentümer eines Nachlassgegenstandes war. In der erbrechtlichen Praxis wird deshalb ein deutlicher Abschlag bei der Verkehrswertbestimmung des Nachlasses vorgenommen. Dahinter steckt die Überlegung, dass halbe Miteigentumsanteile unter marktwirtschaftlichen Bedingungen in der Regel kaum verwertbar sind.

Der Bundesgerichtshof hat sich zu dieser Problematik nun in seinem Urteil vom 13.05.2015 (Az. IV ZR 138/14) geäußert und entschieden, dass ein Abschlag nicht gerechtfertigt ist, wenn der bisherige Miteigentümer einer Immobilie zu 1/2 mit dem Erbfall eine weitere ideelle Hälfte erhält und damit Alleineigentümer wird. Eine Verwertung des Miteigentums sei bei dieser Sachlage problemlos möglich.

Kommentar: Der Bundesgerichtshof stärkt mit dieser Entscheidung das Recht des Pflichtteilsberechtigten. Die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe Abschläge hinzunehmen sind, wenn kein Alleineigentum entsteht, lässt das Gericht allerdings offen. Gemäß § 2311 Abs. 2 Satz 1 BGB ist dies von dem jeweils zur Entscheidung berufenen Gericht  zu schätzen; dazu sind die vorhandenen Informationen vom Kläger gründlich aufzubereiten. Eine bestimmte Methode zur Ermittlung des Wertes eines Nachlassgegenstandes (eine Immobilie, ein Unternehmen, Kunstgegenstände) schreibt das Gesetz nicht vor.

BGH zum Pflichtteil bei liechtensteinischer Stiftung

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Der Pflichtteil gewährleistet die unentziehbare Teilhabe des Kindes am Vermögen der Eltern und ist verfassungsrechtlich geschützt. Art. 6 Abs. 1 GG schützt das Verhältnis zwischen Erblasser und  Kindern als „lebenslange Gemeinschaft, innerhalb derer Eltern wie Kinder nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sind, füreinander sowohl materiell als auch persönlich Verantwortung zu übernehmen“ (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19.04.2005, Aktenzeichen 1 BvR 1644/00 und 1 BvR 188/03).

Erblasser, die den Pflichtteil umgehen wollen, verlagern ihr Vermögen regelmäßig ins Ausland.

Der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 03.12.2014, Aktenzeichen IV ZB 9/14) hatte nun über einen Fall zu entscheiden, in dem der Erblasser Teile seines Vermögens in eine privatrechtliche Anstalt liechtensteinischen Rechts eingebracht hatte. Er besaß außerdem Rechte an einer in Liechtenstein gegründeten Stiftung.

Die zur Zahlung des Pflichtteils verpflichteten Erbinnen weigerten sich nun, mehr über dieses Vermögen bekannt zu geben als das bloße Bestehen dieser Rechte.

Zu Unrecht, wie der Bundesgerichtshof urteilte.

Zwar sei die Anstalt nach liechtensteinischem Recht rechtlich selbständig und deshalb nicht Bestandteil des Nachlasses. Das dem Gericht vorgelegte sog. Beistatut zu dieser Anstalt enhalte aber Bestimmungen zu Gunsten der Erbinnen, die entweder wirksame oder unwirksame Schenkungen begründeten (dies musste das Gericht nicht abschließend beurteilen). In beiden Fällen sei aber eine Auskunftspflicht der Erbinnen gegeben: War die Schenkung unwirksam, gehörten Rückforderungsansprüche zum Nachlass. War sie wirksam, ergäben sich Auskunftsansprüche, weil die Schenkungen zu sog. Pflichtteilsergänzungsansprüchen (§§ 2325 ff. BGB) führen könnten. Vollzogen sei die Schenkung erst mit dem Tod des Erblassers.

Für die Siftung kommt das Gericht zum gleichen Ergebnis: Die im Stiftungsreglement enthaltene Vorschrift zur Verteilung des Stiftungsvermögens bei Ableben des Erblassers sei als (wirksame oder unwirksame) Schenkung auf den Todesfall zu Gunsten der Erbinnen zu bewerten und erst mit dem Erbfall vollzogen. Wüssten Sie über den Umfang des Stiftungsvermögens tatsächlich nichts, müssten sie sich diese Kenntnis beschaffen.

Kommentar: Der Fall zeigt, dass es dem Pflichtteilsberechtigten im Einzelfall und je nach juristischer Konstruktion der Verlagerung durchaus gelingen kann, verborgene Vermögenswerte in die Berechnung des Pflichtteils mit einzubeziehen. Interessant dürfte die Entscheidung auch für Erbfälle sein, bei denen vermögende Privatpersonen Lebensversicherungsverträge mit in Liechtenstein ansässigen Versicherungsunternehmen abgeschlossen haben, um ihr bislang unversteuertes Vermögens zu „schützen“. 

BGH zur Verjährung des Anspruches auf den Pflichtteil

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Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 16.01.2013 (Aktenzeichen: Az. IV ZR 232/12) entschieden, dass die Verjährungsfristen für den Anspruch auf den Pflichtteil nicht neu zu laufen beginnt, wenn der Pflichtteilsberechtigte von einem neuen Nachlassgegenstand (z.B. einer Immobilie) erfährt.

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall stritten zwei Schwestern um den Pflichtteil nach dem im Jahr 2003 verstorbenen Vater.

Die Beklagte hatte zunächst ein notarielles Nachlassverzeichnis erstellt, auf dessen Grundlage die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.402,78 € geltend machte. Im Jahr 2009 tauchte dann ein Grundstück auf, das bei der Berechnung des Pflichtteils unberücksichtigt geblieben war.

Die Klägerin verlangte nun, im Jahre 2009 noch ihren restlichen Pflichtteil an dem Grundstück zu bekommen.

Die Beklagte konnte sich mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung berufen. Der BGH urteilte sinngemäß, dass irgendwann Schluss sein müsse. Die derzeit geltenden einheitlichen Fristen (Beginn der 3-jährigen Verjährung mit Kenntnis von Erbfall und Testament bzw. einer Schenkung; Verjährungshöchstfristen bei fehlender Kenntnis) seien ausreichend und sachgerecht, um eine „Abwicklung des Pflichtteilsanspruchs in überschaubarer Zeit“ hinzubekommen.

Etwas anderes soll in dem (seltenen) Fall gelten, dass infolge einer gesetzlichen Neuregelung rückwirkend Ansprüche geschaffen wurden, die in den Nachlass fallen.

Zu den weiteren Einzelheiten berate ich Sie gerne.

Telefon: 030 / 609 82 88 55